Zusammenfassung des Urteils BV 2017/13: Versicherungsgericht
Die Versicherte, eine selbständig erwerbende Immobilienfachfrau und Mediatorin, hatte eine Erwerbsunfähigkeitspolice abgeschlossen. Nach ärztlichen Attesten war sie teilweise arbeitsunfähig, aber die Versicherungsgesellschaft reduzierte ihre Leistungen. Die Versicherte klagte daraufhin, um die volle Leistung zu erhalten. Das Gericht entschied, dass sie Anspruch auf eine reduzierte Rente und Prämienbefreiung hatte, aber nicht auf die volle Leistung. Die Beklagte muss der Klägerin einen Betrag von Fr. 14'358.60 plus Zinsen zahlen. Es werden keine Gerichtskosten erhoben, aber die Abklärungskosten von Fr. 160.-- gehen zu Lasten der Beklagten. Die Beklagte muss die Klägerin mit Fr. 3'000.-- entschädigen.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | BV 2017/13 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | BV - berufliche Vorsorge |
Datum: | 20.05.2019 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 73 BVG. Art. 61 VVG. Erwerbsunfähigkeitspolice (gebundene Vorsorge, Säule 3a). Die rechtsgenüglich ausgewiesenen Arbeitsunfähigkeiten entsprechen im vorliegenden Fall dem Grad der Erwerbsunfähigkeit. Berufswechsel nicht zumutbar, keine Verletzung der Schadenminderungspflicht. Teilweise Gutheissung der Klage (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 20. Mai 2019, BV 2017/13). |
Schlagwörter: | ähig; Arbeitsunfähigkeit; Erwerbsunfähigkeit; Prämie; %-ige; Prämien; Zeitraum; Rente; Behandlung; Bericht; Recht; Wartefrist; Beruf; Arbeitsfähigkeit; Höhe; Anspruch; Klage; Beklagten; Stellungnahme; Gericht; Parteien; Immobilienfachfrau; Prämienbefreiung |
Rechtsnorm: | Art. 100 VVG ;Art. 61 VVG ;Art. 73 BV ; |
Referenz BGE: | 126 V 143; 128 V 323; |
Kommentar: | - |
Besetzung
Versicherungsrichterinnen Miriam Lendfers (Vorsitz), Christiane Gallati Schneider und Versicherungsrichter Joachim Huber; Gerichtsschreiber Markus Lorenzi
Geschäftsnr.
BV 2017/13
Parteien
,
Klägerin,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Oliver Streiff, Stampfenbach-strasse 52, 8006
Zürich,
gegen
AG,
Beklagte,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gerhard Stoessel, M.B.L.-HSG, Kohlrainstrasse 10, 8700 Küsnacht ZH,
Gegenstand
Leistungen infolge Erwerbsunfähigkeit aus gebundener Vorsorge (Säule 3a)
Sachverhalt
A.
A. (nachfolgend: Versicherte), selbständig erwerbende Immobilienfachfrau und Mediatorin SGO, schloss am 23. Juni 1997 bei der B. unter anderem eine Erwerbsunfähigkeitspolice (gebundene Vorsorge) inklusive Prämienbefreiung ab. Gemäss dieser Police erhält die Versicherte bei Erwerbsunfähigkeit nach einer
Wartefrist von zwei Monaten eine jährliche Rente von Fr. 24'000.--, zahlbar während 22 Monaten, sowie eine Basisrente bis 1. Mai 2023 von jährlich Fr. 36'000.--. Eine Prämienbefreiung erfolgt gemäss Police nach drei Monaten Wartefrist (act. G 1.2).
Mit Arztzeugnis vom 8. November 2014 bescheinigte Dr. med. C. , in dessen Behandlung die Versicherte seit dem 18. September 2014 stand, eine 50%-ige Arbeitsunfähigkeit vom 19. September bis 30. November 2014 (act. G 1.6). Vom 1. bis
31. Dezember 2014 attestierte Dr. med. D. , FMH Allgemeine Innere Medizin, in deren Behandlung die Versicherte seit dem 16. Oktober 2014 stand, weiterhin eine 50%-Arbeitsunfähigkeit vom 1. bis 31. Dezember 2014 (act. G 1.7). Die genannte 50%- ige Arbeitsunfähigkeit der Versicherten seit dem 19. September 2014 und bis auf weiteres bestätigte Dr. D. mit ärztlichem Zeugnis vom 18. Dezember 2014. Sie diagnostizierte eine nichtorganische Schlafstörung (ICD-10: F51.0) sowie eine Anpassungsstörung (ICD-10: F43.22). Die Versicherte stehe zusätzlich in Behandlung bei Dr. med. E. , Fachärztin FMH, Anthroposophische Medizin, und Dr. med. F. , Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie. Unter den Therapien komme es zu einer kontinuierlichen Besserung des Gesundheitszustandes. Die Versicherte sei äusserst motiviert und kooperativ. Bei sehr guter Prognose könne ab ca. März 2015 (nach sechs Monaten) wieder mit einer 100%-igen Arbeitsfähigkeit gerechnet werden (act. G 1.8). Ab dem 1. Januar bis 28. Februar 2015 bescheinigte Dr. E. der Versicherten eine 100%-ige Arbeitsunfähigkeit (act. G 1.9 f.). In Beantwortung seitens der B. gestellter Fragen diagnostizierte Dr. F. mit Arztbericht vom 27. Januar 2015 eine seit etwa 2008 bestehende somatoforme autonome Funktionsstörung (ICD-10: F45.3) sowie eine seit Sommer 2014 bestehende Panikstörung (ICD-10: F41.0). Die Versicherte stehe seit dem 13. November 2014 in seiner ambulanten psychiatrisch-therapeutischen Behandlung. Bisher hätten vier Sitzungen stattgefunden. Seit Behandlungsbeginn sei es zu einer gewissen Linderung gekommen, weil der Fokus auf den Zusammenhang zwischen körperlichen Symptomen, leichter Hyperventilation und Stress gelegt worden sei. Durch gezielte Atemtherapie hätten sich einige Symptome beruhigen können. Die Versicherte sei mit Temesta 1 mg in Reserve vor dem Schlafen ausgestattet. Grundsätzlich sei von einer guten Prognose auszugehen und mit einer vollständigen Wiederherstellung der Leistungs- und Arbeitsfähigkeit zu rechnen (act. G 1.11).
Mit Schreiben vom 17. Februar 2015 errechnete die B. für den Zeitraum 19. November bis 31. Dezember 2014 Rentenleistungen und Prämienbefreiung im Rahmen eines 50%-igen Erwerbsunfähigkeitsgrades in der Höhe von Fr. 3'544.25 (act. G 1.12). Am 18. Februar 2015 teilte die B. der Versicherten mit, dass es gemäss dem Arztbericht von Dr. F. vom 27. Januar 2015 seit der Verschlechterung im Sommer 2014 zu einer schrittweisen Erholung gekommen sei. Eine medizinisch-psychiatrische Diagnose mit aktueller Arbeitsunfähigkeit werde von Dr. F. nicht bestätigt. Nach Rücksprache mit der Gesellschaftsärztin sei vorgesehen, die Leistungen ab 1. Januar 2015 auf 25% zu reduzieren und ab 1. März 2015 ganz einzustellen. Die bestätigte Arbeitsunfähigkeit von 100% ab 1. Januar 2015 könne ohne umfassende medizinische Begründung nicht nachvollzogen werden. Wenn die Versicherte mit diesem Entscheid nicht einverstanden sei, werde um Zustellung aller ärztlichen Verlaufsberichte sowie um einen IK-Auszug der Jahre 2012 bis 2014 gebeten (act. G 1.13).
Unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 18. Februar 2015 führte Dr. F. mit Bericht vom 6. März 2015 aus, dass Dr. E. die Versicherte ab dem 1. Januar 2015 zu 100% krankgeschrieben habe. Die Versicherte sei zu Dr. E. gegangen, weil er selbst erst wieder ab dem 6. Januar 2015 erreichbar gewesen sei. Er habe die Versicherte am 30. Januar 2015, also drei Tage nach dem Bericht an die B. , wieder gesehen. Erst dann sei er über die 100%-ige Krankschreibung informiert worden. Die Beschwerden hätten sich gemäss der Versicherten anfangs Januar 2015 wieder verstärkt, weshalb sie Dr. E. aufgesucht habe. Er werde der Versicherten empfehlen, dass die Verantwortung für eventuelle weitere Arbeitsunfähigkeitszeugnisse in diesem Fall von ihm selber übernommen werde, um weitere Missverständnisse zu vermeiden (act. G 1.14). Im Folgenden attestierte Dr. F. der Versicherten vom 1. März bis 31. Mai 2015 eine Arbeitsunfähigkeit von 50% (act. G 1.15 ff.) und vom 1. Juli bis 31. August 2015 eine solche von 25% (act. G 1. 18 ff.). Ab dem 1. September 2015 bestand gemäss Dr. F. keine Arbeitsunfähigkeit mehr (act. G 1.21).
Am 22. Oktober 2015 bestätigte die B. ihre Einschätzung, dass ab dem 1. März 2015 die Erwerbsunfähigkeit weniger als 25% betrage und die Leistungen ab diesem Zeitpunkt eingestellt würden. Die Abrechnung für den Zeitraum 1. Januar bis 28. Februar 2015 ergab Leistungen bei 25%-iger Erwerbsunfähigkeit im Umfang von Fr. 2'523.60. Nach Verrechnung mit ausstehenden Prämienschulden (Fr. 2'624.15) resultierte ein Saldo zu Gunsten der B. von Fr. 100.55 (act. G 1.34).
Zuhanden der Coop Rechtsschutz AG reichte Dr. E. am 15. März 2016 einen Arztbericht ein. Sie diagnostizierte eine somatoforme autonome Funktionsstörung (ICD-10: F45.3), eine Panikstörung (ICD-10: F41.0), eine psychisch-physische Erschöpfung, massive Schlafprobleme und vegetative Herzprobleme. Seit Oktober 2014 sei die Versicherte unter anderem bei ihr in Behandlung, rund alle zwei Wochen. Zum Zeitpunkt der Erstkonsultation sei die Versicherte sehr erschöpft gewesen. Sie habe bereits wochenlang sehr schlecht geschlafen, habe Ängste vor den Nächten
gehabt und sei übermüdet und unkonzentriert gewesen. Zukunfts- und Existenzängste, verbunden mit Panik, auch aus nichtigem Anlass, Weinen und Konzentrationsunfähigkeit hätten es der Versicherten unmöglich gemacht, "sich selbst zu ergreifen" und Kraft aufzubauen zu arbeiten. Funktionelle Herzbeschwerden, gastrointestinale Beschwerden und Wassereinlagerungen hätten zusätzliche Ängste ausgelöst. Mittels naturheilkundlicher Medikamente, Massagen, Heileurythmie und Körpertherapie habe langsam eine Verbesserung erzielt werden können. Einige der Symptome seien weniger geworden, bei seelischer Belastung aber wieder aufgetreten
(z.B. beim Tod einer Freundin, dem Tod der Mutter, wegen eines Erbschaftsstreits bezüglich des mütterlichen Erbes, wegen Problemen mit ihrem Haus [Abrutschen wegen Strassenbau]). Die Versicherte sei immer wieder stark erkältet gewesen und habe auch einen Sturz erlitten. Es habe ein Auf und Ab der Symptome und der Befindlichkeit gegeben, ohne dass ein wirklich kräftiger und stabiler Zustand habe erreicht werden können bei Schlaflosigkeit, die alle Kraft zunichte gemacht habe und mit Herz- und Bauchproblemen. Die Versicherte habe die Therapie durch mehrere alternative Heilbehandlungen und Energiearbeit-Therapie unterstützt. Sehr langsam aber dennoch hätten sich die Kräfte stabilisiert, so dass die regelmässige Behandlung im November 2015 habe abgeschlossen werden können (act. G 1.36). Unter anderem
gestützt auf diesen Bericht ersuchte die Coop Rechtsschutz AG die B. , ihre Leistungspflicht erneut zu überprüfen (act. G 1.37).
Mit Schreiben vom 17. August 2016 hielt die B. an ihrem Entscheid vom 18. Februar 2015 fest, wonach ab dem 1. März 2015 kein Anspruch mehr infolge Erwerbsunfähigkeit bestehe (act. G 1.38). Am 22. Juli 2016 teilte die B. dem Rechtsvertreter mit, dass sie auf die Einrede der Verjährung bis 1. August 2017 verzichte (act. G 1.39). Anlässlich einer Verhandlung beim Vermittleramt G. kam es zu keiner Einigung (act. G 1.40).
B.
Mit Klage vom 6. Juli 2017 liess die Versicherte (nachfolgend: Klägerin) beantragen, es sei 1. die B. (nachfolgend: Beklagte) zu verpflichten, der Klägerin mindestens Fr. 18'750.-- nebst Zins zu 5% seit 15. Mai 2015 (mittlerer Verfall), eventualiter was rechtens, zu bezahlen. Eine Mehrforderung bleibe vorbehalten. 2. Es sei die Klägerin für den Zeitraum von Dezember 2014 bis Ende August 2015 von der Prämienpflicht (anteilsmässig) zu befreien und die Beklagte zu verpflichten, die für den entsprechenden Zeitraum zu viel bezahlten Prämien an die Klägerin zurückzuerstatten. Alles unter gesetzlicher Kosten- und Entschädigungsfolge (inkl. Mehrwertsteuersatz von 8%) zulasten der Beklagten. In prozessualer Hinsicht liess die Klägerin um einen zweiten Schriftenwechsel ersuchen (act. G 1).
Mit Klageantwort vom 8. September 2016 beantragte die Beklagte, die Klage sei abzuweisen. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Klägerin (act. G 3).
Mit Replik vom 13. November 2017 ergänzte die Klägerin das Klagebegehren 2. dahingehend, dass die Beklagte zu verpflichten sei, die für den entsprechenden Zeitraum zu viel bezahlten Prämien inkl. Zins zu 5% bei mittlerem Verfall, eventualiter was rechtens, innert 30 Tagen an die Klägerin zurückzuerstatten (act. G 7).
Mit Duplik vom 26. Januar 2018 hielt die Beklagte an ihren Rechtsbegehren
unverändert fest (act. G 11).
Mit weiterer Eingabe vom 2. März 2018 liess die Klägerin eine Stellungnahme zur
Duplik der Beklagten einreichen (act. G 13).
Mit Schreiben vom 1. März 2019 ersuchte das Versicherungsgericht Dr. F. um eine Stellungnahme bezüglich der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im eingeklagten Zeitraum (act. G 22). Dr. F. reichte am 21. März 2019 einen Bericht ein (act. G 25). Dieser wurde den Parteien zur Kenntnis und allfälligen Stellungnahme gebracht (act. G 26). Die Klägerin liess sich am 5., die Beklagte am 15. April 2019 dazu vernehmen (act. G 27 f.). Am 2. Mai 2019 reichte Dr. F. eine Rechnung für den genannten Bericht in der Höhe von Fr. 160.-- ein (act. G 30). Diese wurde den Parteien am 7. Mai 2019 zur Kenntnis gebracht (act. G 31).
Auf die Begründungen in den einzelnen Rechtsschriften sowie den Inhalt der übrigen Akten wird, soweit entscheidwesentlich, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
Erwägungen
1.
Streitig ist die Leistungspflicht der Beklagten aus einer gebundenen Vorsorgeversicherung der Säule 3a nach Art. 82 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40). Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Versicherungsgerichts blieb zwischen den Parteien zu Recht unbestritten (Art. 73 Abs. 1 lit. b BVG; Ziff. 20 der allgemeinen Bedingungen für die Einzel-Lebensversicherung, Ausgabe 1996; act. G 1.3).
2.
Gemäss der zur Diskussion stehenden Versicherungspolice aus dem Jahr 19 erhält die Klägerin, welche selbständig erwerbend ist, bei Erwerbsunfähigkeit nach einer Wartefrist von zwei Monaten 1. eine jährliche Rente von Fr. 24'000.--, zahlbar während 22 Monaten, sowie 2. eine Basisrente bis 1. Mai 2023 von jährlich Fr. 36'000.-- (act. G 1.2). Ein Rentenanspruch besteht ab einer Erwerbsunfähigkeit von 25% (vgl. Ziff. 2.5 der ergänzenden Bedingungen für die Prämienbefreiung und die Zahlung einer Rente bei Erwerbsunfähigkeit, Ausgabe 1996 [nachfolgend: EB; act. G 1.5]). Streitig und zur Beurteilung steht die Höhe der Erwerbsunfähigkeit der Klägerin im Zeitraum 1. Januar 2015 bis 31. August 2015.
3.
Die Beklagte geht davon aus, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in ihrem angestammten Beruf als selbständig erwerbende Immobilienfachfrau vom 1. Januar bis
31. Mai 2015 50% und vom 1. Juni bis 31. August 2015 25% betragen hat (vgl. act. G 3 S. 6). Bezüglich Arbeitsunfähigkeit ist einzig streitig, ob vom 1. Januar bis 28. Februar 2015 eine höhere, 100%-ige Arbeitsunfähigkeit bestanden hat. Diesbezüglich verweist die Klägerin auf die ärztlichen Zeugnisse von Dr. E. , welche die Klägerin für diesen Zeitraum zu 100% arbeitsunfähig geschrieben hat (act. G 1.9 f., 36), sowie die
Stellungnahme von Dr. F. vom 6. März 2015 (act. G 1.14). Die Beklagte erachtet die Atteste von Dr. E. für nicht beweistauglich. Eine Einschränkung von 100% in den Monaten Januar und Februar 2015 sei auch durch die erwähnte Stellungnahme von Dr. F. nicht rechtsgenüglich erstellt.
Die Klägerin war seit Oktober 2014 in ambulanter Behandlung im Medizinischen Zentrum H. (act. G 1.8). Ergänzend zur dortigen Psychotherapie bei Dr. F. wurde die Klägerin durch Dr. E. , Anthroposophische Medizin, betreut. Dr. E. ist keine Fachärztin für psychiatrische Belange, sondern Zahnärztin mit Weiterbildung Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Zudem erlangte sie einen Fähigkeitsausweis in Anthroposophischer Medizin. Nachdem bei der Klägerin psychiatrische Befunde die Arbeitsfähigkeit einschränkten, war Dr. E. damit grundsätzlich nicht kompetent, der Klägerin eine abschliessende Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen zu attestieren. Dr. F. , Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie und damit zur Attestierung von Arbeitsunfähigkeiten im vorliegenden Kontext grundsätzlich kompetent, führte in seinem Schreiben vom 6. März 2015 lediglich aus, dass Dr. E. die Klägerin ab 1. Januar 2015 zu 100% krankgeschrieben habe, bestätigte bzw. begründete deren Einschätzung aber nicht (act. G 1.14). Dies holte er auch nicht durch den vom Gericht eingeforderten Bericht vom 21. März 2019 nach. Wiederum erwähnte er einzig, dass Dr. E. die Klägerin (vom 1. bis 31. Januar 2015) zu 100% krankgeschrieben habe. Ab 1. Februar bis 31. Mai 2015 sei sie von ihm zu 50% und ab
1. Juni bis 31. August 2015 zu 25% krankgeschrieben worden (act. G 25). Insbesondere begründete Dr. F. in seiner Stellungnahme vom 21. März 2019 nicht rechtsgenüglich, weshalb die Arbeitsunfähigkeit unter Bezugnahme auf die Diagnosen und deren funktionelle Auswirkungen in der konkreten Tätigkeit der Klägerin als selbständige Immobilienfachfrau (vgl. dazu die Fragestellung in act. G 22) gerade zu Beginn des Jahres 2015 – im Gegensatz zum Ende des Jahres 2014 (act. G 1.6 f.) bzw. ab Februar/März 2015 (act. G 1.15) – höher ausgefallen sein soll (act. G 25).
Zusammengefasst ist festzuhalten, dass im Zeitraum 1. Januar bis 28. Februar 2015 eine höhere als eine 50%-ige Arbeitsunfähigkeit unbewiesen bleibt. Die Folgen daraus hat die Klägerin zu tragen. Da nicht anzunehmen ist, dass mit weiteren Abklärungen bessere Erkenntnisse zu erwarten wären, ist darauf in antizipierter Beweiswürdigung zu verzichten. Damit betrug die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in ihrem angestammten Beruf als selbständig erwerbende Immobilienfachfrau vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 50% und vom 1. Juni bis 31. August 2015 25%.
4.
Zur Begründung eines Leistungsanspruchs bedarf es einer mindestens 25%-igen Erwerbsunfähigkeit (vgl. vorstehende Ziff. 2). Die Erwerbsunfähigkeit entspricht – wie es die Beklagte richtig geltend macht – nicht zwangsläufig der Arbeitsunfähigkeit. Gemäss der relevanten Ziff. 1 der EB liegt Erwerbsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person infolge medizinisch objektiv feststellbarer Krankheit eines Unfalls ausserstande ist, ihren Beruf eine andere zumutbare Erwerbstätigkeit auszuüben. Zumutbar ist eine Tätigkeit dann, wenn sie den Fähigkeiten und der Lebensstellung der versicherten Person entspricht, auch wenn die hierfür benötigten Kenntnisse erst durch eine Umschulung erworben werden müssen.
Im angestammten Beruf als selbständig erwerbende Immobilienfachfrau entspricht die ausgewiesene Arbeitsunfähigkeit gemäss E. 3 der Erwerbsunfähigkeit gemäss Versicherungspolice, unabhängig von der konjunkturellen Lage. Die Klägerin ist Einzelunternehmerin und beschäftigt keine Mitarbeitenden, welche allenfalls bis zu einem gewissen Grade eine Arbeitsunfähigkeit bzw. einen Erwerbsausfall der Klägerin auffangen könnten. Entsprechend ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei 50%- iger Arbeitsunfähigkeit in ihrer angestammten Tätigkeit ein 50%-iges Einkommen erzielt und bei 25%-iger Arbeitsunfähigkeit 75% des sonst erzielbaren Einkommens generieren kann.
Zu prüfen bleibt, ob von der Klägerin bis zur Erlangung der vollen Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit am 31. August 2015 erwartet werden konnte, den Grad der Erwerbsunfähigkeit bzw. den Schaden mit einer anderen Tätigkeit tiefer zu halten. Dies ist zu verneinen. Eine "Rettungspflicht" nach Art. 61 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1) bzw. eine Schadenminderungspflicht seitens der Klägerin bestand nicht. Diesbezüglich wird vorausgesetzt, dass der Versicherer, welcher von der versicherten Person einen Berufswechsel bzw. vorliegend einen Wechsel von einer selbständigen in die unselbständige Tätigkeit erwartet, dies der versicherten Person mitteilen und ihr eine angemessene Frist setzen muss, um sich anzupassen und eine Stelle zu finden (vgl. dazu sinngemäss die anwendbaren Ausführungen für die Krankentaggeldversicherung in CHRISTOPH HÄBERLI/DAVID HUSMANN, Krankentaggeld, versicherungs- und arbeitsrechtliche Aspekte, Bern 2015, N 541 f.; vgl. ferner Urteil des Bundesgerichts vom 5. Januar 2017, 4A_495/2016, E. 2.3). Das ist hier nicht geschehen und wäre der Klägerin aufgrund der krankheitsbedingten (Teil-)Arbeitsunfähigkeit von weniger als
einem Jahr wohl auch nicht zumutbar gewesen. Dass die Klägerin bereits in den Jahren 2008/2009 aufgrund einer ähnlichen Problematik rund 18 Monate (teil-)arbeitsunfähig gewesen ist (act. G 3.9, 11.1), vermag an dieser Pflicht des Versicherers nichts zu ändern, zumal die Klägerin danach wieder zu 100% in ihrer selbständigen Tätigkeit arbeiten konnte. Die präventive Verhinderung des Versicherungsfalls wird denn auch nicht von der Schadenminderungspflicht erfasst (vgl. Art. 61 Abs. 1 VVG, wonach erst nach Eintritt des befürchteten Ereignisses tunlichst für Minderung des Schadens zu sorgen ist; vgl. ferner CHRISTOPH HÄBERLI/DAVID HUSMANN, a.a.O., N 507).
Gestützt auf vorstehende Erwägung bedarf es keiner abschliessenden Prüfung, ob der Gesundheitszustand der Klägerin seit dem Ende der Wartefrist von zwei Monaten im November 2014 und bis zur Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit am 31. August 2015 eine andere zumutbare, einträglichere Tätigkeit überhaupt zugelassen hätte. Immerhin ist zu erwähnen, dass die Stabilität des Gesundheitszustands grundsätzlich eine Voraussetzung für einen allfälligen Berufswechsel bzw. Wechsel in eine unselbständige Tätigkeit darstellt (vgl. dazu wiederum CHRISTOPH HÄBERLI/DAVID HUSMANN, a.a.O., N 527) und die
(Arbeitsfähigkeits-)Beurteilungen von Dr. F. den Schluss eines stabilen Gesundheitszustands vor dem 31. August 2015 eher nicht zulassen.
Zusammengefasst ist festzuhalten, dass von der Klägerin innerhalb des relevanten Zeitraums bis Ende August 2015 kein Berufswechsel und kein Wechsel von der selbständigen in eine einträglichere unselbständige Erwerbstätigkeit erwartet werden konnte (vgl. E. 4.3). Auch erschien ein Wechsel in dieser Zeit mangels stabilen Gesundheitszustands nicht zumutbar (vgl. E. 4.4). Deshalb entsprach der Arbeitsunfähigkeitsgrad dem Erwerbsunfähigkeitsgrad (vgl. vorstehende E. 4.2) gemäss Versicherungspolice.
5.
Gestützt auf vorstehende Erwägungen betrugen die Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeiten der Klägerin vom 19. September 2014 bis 31. Mai 2015 50% und vom 1. Juni bis 31. August 2015 25%. In diesem Umfang besteht ein Rentenanspruch (nach einer Wartefrist von zwei Monaten) bzw. Prämienbefreiung (nach einer Wartefrist von drei Monaten) gemäss der Versicherungspolice. Im weiteren Umfang ist die Klage abzuweisen.
Von Januar bis und mit Mai 2015 besteht ein Rentenanspruch von monatlich Fr. 2'500.-- (50%-iger Anspruch), danach bis und mit August 2015 ein solcher von Fr. 1'250.-- (25%-iger Anspruch). Insgesamt besteht im eingeklagten Zeitraum damit ein Anspruch von Fr. 16'250.-- (5x Fr. 2'500.-- + 3x Fr. 1'250.--). Fr. 2'500.-- wurden unbestrittenermassen bereits geleistet (25% für die Monate Januar und Februar 2015; act. G 1 S. 16). Es resultiert damit ein Rentenanspruch von Fr. 13'750.--.
Im Umfang der ausgewiesenen Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeiten ist die Klägerin
– wie erwähnt – nach einer Wartefrist von drei Monaten von der Prämienpflicht zu befreien. Zu viel erbrachte Prämien hat die Beklagte zurückzuerstatten. Die Monatsprämie beträgt Fr. 221.30 (act. G 28). Für Januar und Februar 2015 hat die Klägerin die Prämie zu 75% bezahlt, für März bis und mit August 2015 zu 100% (act. G
1.34 S. 2, G 28). Januar bis und mit Mai 2015 hätte die Klägerin nur 50% der Prämien bezahlen müssen, Juni bis und mit August 2015 75%. Damit resultieren zurückzuzahlende Prämien in der Höhe von Fr. 608.60 (0.25 x 221.30 [Januar] + 0.25 x 221.30 [Februar] + 0.5 x 221.30 [März] + 0.5 x 221.30 [April] + 0.5 x 221.30 [Mai] + 0.25
x 221.30 [Juni] + 0.25 x 221.30 [Juli] + 0.25 x 221.30 [August]).
Aus praktischen Gründen rechtfertigt es sich, wie von der Klägerin beantragt, beim
Verzugszins von einem mittleren Verfall auszugehen (vgl. CHRISTIAN HEIERLI/ANTON
K. SCHNYDER in: BSK OR I, Art. 42 N 5). Der mittlere Verfallstag ist bei einem eingeklagten Zeitraum von Januar bis August 2015 am 30. April 2015. Gemäss Art. 100 VVG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 des Obligationenrechts (OR; SR 220) hat die Beklagte bei Verzug Verzugszinsen zu 5% pro Jahr zu bezahlen. Dementsprechend ist die Beklagte zu verpflichten, auf die geschuldeten Beträge einen Verzugszins von 5% seit 30. April 2015 zu bezahlen.
Zusammengefasst ist die Beklagte damit zu verpflichten, der Klägerin Fr.
14'358.60 nebst Zins zu 5% seit 30. April 2015 zu bezahlen.
6.
Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 73 Abs. 2 BVG).
Zu verlegen bleiben die (Abklärungs-)Kosten in der Höhe von Fr. 160.--, entstanden durch den vom Gericht eingeforderten Bericht von Dr. F. vom 21. März 2019 (vgl. vorstehende lit. B.f; act. G 30). Gemäss Ziff. 15.2 der allgemeinen Bedingungen für die Einzel-Lebensversicherung, Ausgabe 1996, kann die Beklagte
zusätzliche Informationen unter anderem bei den behandelnden Ärzten einholen, sofern dies zur Abklärung der Anspruchsvoraussetzung nötig erscheint (act. G 1.3). Eine ähnliche Bestimmung findet sich in Ziff. 4.2 der EB (act. G 1.5). Die Beklagte und auch das Gericht erachteten die Höhe der Arbeitsunfähigkeit von 100% (bescheinigt durch Dr. E. ) für die Monate Januar und Februar 2015 als nicht rechtsgenüglich erstellt. Bevor die Beklagte diesbezüglich jedoch von Beweislosigkeit ausgehen durfte, hätte sie weitere Abklärungen vornehmen bzw. sich um objektive Klärung des Sachverhalts bemühen müssen. Dies führt dazu, dass die Kosten des Berichts von Dr. F. über Fr. 160.-- in Analogie zu Art. 45 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) zulasten der Beklagten gehen.
Die Klägerin obsiegt im Umfang von rund drei Vierteln. Diesem Ausgang entsprechend sind ihr in Anwendung von Art. 98 Abs. 1 und Art. 98bis des st. gallischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRP; sGS 951.1) die Parteikosten von der Beklagten zu erstatten. Der Vertreter der Klägerin hat eine nach Zeitaufwand bemessene Honorarnote über Fr. 7'392.78 (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) eingereicht (act. G 15). Ein Honorar nach Zeitaufwand sieht die Honorarordnung (HonO; sGS 963.75) im Verfahren vor dem Versicherungsgericht grundsätzlich nicht vor. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen spricht in BVG-Prozessen gestützt auf Art. 22 Abs. 1 lit. b HonO bei vollem Obsiegen regelmässig eine pauschale Entschädigung zwischen Fr. 2'500.-- und Fr. 4'500.-- zu. Die eingereichte Honorarnote übersteigt diesen Rahmen in einem Ausmass, dass darauf nicht abzustellen ist. Vorliegend erschiene bei nicht umfangreichen Akten und wenig komplexem Sachverhalt eine volle Entschädigung von Fr. 4'000.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) bei doppeltem Schriftenwechsel und einer zusätzlichen Eingabe dem Aufwand angemessen. Nachdem die anwaltlich vertretene Beklagte grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung für ihr teilweises Obsiegen zu einem Viertel hat (mutwillige leichtsinnige Prozessführung
der Klägerin steht nicht zur Diskussion; BGE 126 V 143 E. 4b, BGE 128 V 323 E. 1a mit weiteren Hinweisen), hat die Beklagte die Klägerin entsprechend deren anteiligen Obsiegens mit Fr. 3'000.-- (drei Viertel von Fr. 4'000.--) zu entschädigen.
Entscheid
im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP
1.
Die Klage wird teilweise gutgeheissen und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fr. 14'358.60 nebst Zins zu 5% seit 30. April 2015 zu bezahlen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Abklärungskosten von Fr. 160.-- gehen im Sinne der Erwägungen zulasten der Beklagten.
4.
Die Beklagte hat die Klägerin mit Fr. 3'000.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu entschädigen.
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